Edlinger contra Grasser: Schulden des Bundes steigen weiterer
Ex-Finanzminister bestreitet bei Podiumsdiskussion des Katholischen Familienverbands Erreichen des Nulldefizits: "Regierung leidet am Prinzip der mangelnder Wahrhaftigkeit"
- Buch "Befreiungsphilosophie des Geldes"
über Alternativgeld-Systeme präsentiert
Wien, 15.11.01 (KAP):
Kritik an der "Propaganda vom Nulldefizit" hat der ehemalige SPÖ-Finanzminister Rudolf Edlinger geübt. Er warf der Regierung vor, am "Prinzip der mangelnden Wahrhaftigkeit" zu leiden. Entgegen den Aussagen von Finanzminister Karl-Heinz Grasser würden die Schulden des Bundes weiter steigen. Das angebliche "Nulldefizit" beruhe nur darauf, dass Länder und Gemeinden einen Überschuss von 23 Milliarden Schilling an den Finanzminister abliefern müssten, so der SPÖ-Politiker am Mittwochabend bei einer Podiumsdiskussion im "Club Stephansplatz 4" im Rahmen der diesjährigen Jahreshauptversammlung des Katholischen Familienverbandes der Erzdiözese Wien. Thema der Podiumsdiskussion mit dem Titel "Befreiung aus der kapitalistischen Geldklemme" war das neu erschienene Buch "Befreiungsphilosophie des Geldes" des KFVW-Vizevorsitzenden Alfred Racek. An der vom ehemaligen "Furche"-Chefredakteur Heiner Boberski geleiteten Diskussion nahm neben Edlinger und Racek auch Prof. Gerhard Senft von der Wirtschaftsuniversität Wien teil.
Edlinger ging mit der Finanzpolitik der gegenwärtigen Bundesregierung scharf ins Gericht: Das "Nulldefizit auf Teufel komm raus" sei falsch und von der EU auch gar nicht gefordert. Außerdem explodiere dabei die Lohnsteuer, die Abgabenquote steige weiter und sei die höchste der vergangenen Jahrzehnte. Im übrigen sei ausgabenseitiges Sparen grundsätzlich "unsozial", da es die Wohlhabenden verschont, die vom Staat keine Leistungen erhalten. Die "soziale Treffsicherheit" der Bundesregierung sei nichts weiter als eine "gezielte Politik gegen das untere Einkommensdrittel". Während man in der Privatwirtschaft Investitionen lobe, denunziere man die gleiche Tätigkeit beim Staat als "Schulden machen". Edlinger warnte auch davor, im Pensionssystem das heutige Umlageverfahren durch Pensionsfonds zu ersetzen. Diese seien systembedingt die "brutalsten Shareholder". Außerdem sprach sich Edlinger für die mittelfristige Abschaffung der unter früheren Bundesregierungen eingeführten Stiftungen aus. Edlinger räumte auch ein, dass zwischen 1987 und 1997 - und damit auch in seiner Zeit als Finanzminister - die Besteuerung des Produktionsfaktors "Arbeit" EU-weit um neun Prozent gestiegen sei, die Besteuerung des "Kapitals" hingegen um sieben Prozent gesunken sei.
Permanente Umverteilung nach oben
KFVW-Vizevorsitzender Racek wies in der Vorstellung seines Buches auf die Problematik hin, dass sich das Geld vom Zweck des Tauschmittels zu einem Selbstwert verselbstständigt habe. Nur mehr zwei Prozent des weltweiten Devisenhandels - mit einem Tagesvolumen von zwei Billionen US-Dollar - würden dem realen Güteraustausch entsprechen. 98 Prozent seien "reine Währungs-Spekulation". Mit Hinweis auf das biblische Zinsverbot sprach Racek von einem "Tanz ums Goldene Kalb": Zinsen würden künstlich über der Inflationsrate und einer Risiko-Abdeckung gehalten. Dadurch gebe es eine "permanente Umverteilung" zu jenen, die Geld verleihen, auf Kosten derer, die sich Geld borgen müssten. Dem stellte Racek das Modell der Familie gegenüber, wo Geld "nicht- profitorientiert" weitergegeben werde, aber auch den "lebensfördernde Geldeinsatz" von alternativen Entwicklungshilfe-Banken.
Alternativen zur kapitalistischen "Geldklemme" sieht Racek in den in
seinem Buch beschrieben Modell-Versuchen durch "Arbeits- oder Zeitkonten" bzw. durch "selbstgeschaffenes Kreditgeld". Arbeits- oder Zeitkonten gebe es beispielsweise in der Wiener Stadtrandsiedlung "Am Schöpfwerk", die nach Art eines Kooperations- oder Tauschringes funktioniere, oder in der japanischen Pflegewährung "Hureia Kippu". Das selbstgeschaffene Kreditgeld existiere weltweit in etwa 2.500 Alternativwährungen, das älteste und berühmteste sei das Schweizer "WIR-System". Außerdem beschreibt Racek in seinem neuen Buch das umlaufgesicherte "Talent-System" und das sogenannte "Neutralgeld".
"Bestechend, aber praxisfremd"
Edlinger bezeichnete die von Racek vorgetragenen Alternativen als "bestechend, aber ein wenig praxisfremd". "Ich halte das für eine Alternative, über die man nachdenken sollte, bin aber nicht sehr optimistisch", so Edlinger. Racek habe ihm schon zu seiner Zeit als Wiener Wohnbaustadtrat vorgeschlagen, ein Wohnhaus zinsenfrei zu bauen. Leider sei es nie zur Realisierung gekommen. Zustimmen könne er, Edlinger, der Theorie aber deshalb, weil sie "antikapitalistisch, sozial ausgleichend und moralisch bestechend" sei. Praxisfremd seien die Experimente hingegen deshalb, weil die Modellbeispiele nur in begrenztem Rahmen funktionierten, man durch "Druck" einen Geldumlauf erzwingen müsse und die Theorie lauter "gute Menschen" voraussetze.
Prof. Gerhard Senft wies auf zwei weitere Probleme alternativer Geldsysteme hin: die fehlende Einbindung in die Sozialversicherungspflicht und das Umgehen des Steuersystems. Dennoch komme Raceks Buch in der gegenwärtigen Zeit des Wirtschaftsabschwungs gerade zum richtigen Zeitpunkt. In der Idee alternativer Geldsysteme gebe es in Österreich eine lange Tradition: von der Stadt Linz, die die Ausgabe von Freigeld diskutiert habe, über das "Experiment von Wörgl", das zur Errichtung der Skisprungschanze mit Neutralgeld geführt habe, 1933 auf Betreiben der Österreichischen Nationalbank aber eingestellt worden sei. Senft erinnerte auch an die sozialreformerische Wiener "Vogelsangrunde", von der Bürgermeister Karl Lueger teilweise seine Ideen bezogen habe, wenngleich er seine Projekte - wie etwa die Wienflussregulierung - auch durch klassische Schuldenpolitik finanziert habe.
Eine Notwendigkeit von Reformen im Finanzbereich ergibt sich für Senft
aber daraus, dass sich die Geldvermögen weltweit alle zwei Jahre verdoppeln, während die Bezieher von Arbeitseinkommen froh sein müssten, wenn ihnen jährlich die Inflationsrate abgegolten wird. "Beschämend" sei auch, dass der öffentliche Bereich in Österreich etwa bei den Spitälern "im zehntreichsten Land der Welt immer mehr auf Sponsoring und Mäzenatentum" zurückgreifen müsse.
Das Buch "Befreiungsphilosophie des Geldes" von Alfred Racek ist im
Thaur-Verlag erschienen, kostet 21,60 EUR/ 298 ATS und ist ab sofort im
Buchhandel erhältlich.