Familienbeihilfe für behinderte Kinder: Derzeit ein "Lotterie-Spiel"
Familien-Vertreter und Volksanwaltschaft fordern klare Kriterien für Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe - Debatte um angekündigte Gesetzes-Novelle entbrannt
Wien, 29. 4. 02
Nach dem Aufsehen erregenden Fall einer Familie aus Wien-Liesing, die wegen der Uneinigkeit ärztlicher Gutachter für ihre Asthma-erkranke Tochter rund 10.000 Euro (ca. 135.000 Schilling) an Familienbeihilfe zurückzahlen soll, wird der Ruf nach "klaren und transparenten Kriterien" zur Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe lauter. Im Sozialministerium ist gegenwärtig eine Gesetzesnovelle in Vorbereitung - mit dem Ziel, die Untersuchungen für die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe künftig einer einzigen Institution zu überantworten. Für Familien-Vertreter und die Volksanwaltschaft ist das zunwenig: Sie wollen, dass vor allem die "Kriterien" eindeutig und nachvollziehbar sind, nach denen die erhöhte Familienbeihilfe bewilligt oder verweigert wird.
"Die amtliche Untersuchung darf für die betroffenen Familien nicht zu einem Lotterie-Spiel verkommen", forderte der Vorsitzende des Wiener Katholischen Familienverbandes, Andreas Dobersberger, am Montag. Der Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe muss alle paar Jahre durch einen Amtsarzt überprüft werden. Dieser hat die Möglichkeit, den Grad der Behinderung in Prozent zu schätzen. Ab einem Behinderungsgrad von 50 Prozent besteht beim Finanzamt der Anspruch auf einen Zuschuss zur Familienbeihilfe in der Höhe von monatlich 131 Euro. Der KFVW hatte bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres hingewiesen, dass diese Untersuchungen nicht selten zu überraschenden Ergebnissen führen.
In der jüngsten "Volksanwalt"-Sendung im ORF-Fernsehen und in der "Kronen-Zeitung" wurde jetzt der Fall einer Familie geschildert, die sogar rund 10.000 Euro an Familienbeihilfe zurückzuzahlen soll. Der Grund: Im Mai des Vorjahres war ein Betrugsskandal aufgeflogen: Eine Bande hatte sich mit einigen Familien unter Angabe falscher Daten die erhöhte Familienbeihilfe erschlichen. Die Behörden ordneten daraufhin Kontrollen an, denen die Familie aus Wien zum Opfer fiel: Obwohl bei einer ersten amtsärztlichen Untersuchung der elfjährigen Jacqueline schweres Asthma festgestellt worden waren, brachte eine neuerliche Untersuchung das Ergebnis, dass "kein Leiden" mehr feststellbar sei.
Auch der Wiener Katholische Familienverband (KFVW) hatte im Vorjahr berichtet, dass Asthma-Kindern nach Auffliegen der Betrugs-Affäre die erhöhten Familienbeihilfe unerwartet gestrichen wurde. Untersuchungen würden für viele Familien zur "Schikane". Binnen weniger Minuten sei das negative Urteil gefällt, ohne auf die Kinder "nur einen einzigen Blick" zu werfen. Der negative Bescheid vom Finanzamt folge auf den Fuß, auch wenn sich der Krankheits-Zustand des Kindes nicht gebessert hat. Der einzige Unterschied: Dieselbe Krankheit, der bei der letzten Untersuchung einen Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent ergeben hatte, wird plötzlich weit niedriger eingestuft. Geht eine Familie in die Berufung, bringt laut Katholischem Familienverband die nächste Untersuchung nur wenige Wochen später "wiederum ein völlig anderes Ergebnis".
Beurteilung nach Kriegsopfer-Gesetz von 1957
Im Sozialministerium wird zur Zeit eine Gesetzesnovelle vorbereitet, der zufolge die amtlichen Untersuchungen zur Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe künftig nur mehr vom Bundessozialamt durchgeführt werden dürfen. Für die Familien-Vertreter und die Volksanwaltschaft ist das Problem damit aber noch nicht gelöst: "Die Kriterien für die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe werden damit weder einheitlicher noch nachvollziehbarer", bemängelt der Katholische Familienverband Österreichs (KFÖ) in seinem Begutachtungssschreiben.
Auch die Volksanwaltschaft fordert in ihrem Schreiben im Rahmen der Gesetzes-Begutachtung, dass die Kriterien, anhand derer entschieden wird, "neu gestaltet" werden sollen. Derzeit werde laut Gesetz auf der Grundlage des "Kriegsopferversorgungsgesetzes" aus dem Jahr 1957 entschieden, das für die Beurteilung von Behinderungen bei Kindern ungeeignet sei. Nach Ansicht der Volksanwaltschaft sei daher eine "Neudefinition jener Kriterien" vorzunehmen, die für die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe maßgeblich sind. Auch die "Lebenshilfe Österreich" drängt auf neue und transparente Kriterien. Die geltende Verordnung sei zur Feststellung des Behindertengrades bei Kindern - vor allem bei geistiger Behinderung - nur "sehr bedingt" anwendbar.