Was bringt das neue "Schutzalter"?
Eindeutiges Verbot der Jugendprostitution, aber Sex mit 14-jährigen Burschen nur mehr bei "mangelnder Reife" des Opfers verboten
Wien, 2. 9. 02
Der Nationalrat hat mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ eine Nachfolge- Regelung für das Homosexuellen-Schutzalter, den Paragrafen 209, beschlossen. Das Gesetz musste nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) bis spätestens 28. Februar nächsten Jahres modifiziert werden.
Der alte Paragraf 209 untersagte erwachsenen Männern ab 19 Jahren sexuelle Kontakte mit minderjährigen (unter 18-jährigen) Burschen. Der neue Paragraf unterschiedet weder zwischen homo- und heterosexuellen Kontakten noch zwischen Burschen und Mädchen. Er schützt allgemein bis zum 16. Lebensjahr Jugendliche mit mangelnder Reife vor Ausnützung der "altersbedingten Überlegenheit" eines Verführers. Geschützt werden Jugendliche unter 16 Jahren außerdem "vor der Ausnützung einer Zwangslage". Bestraft wird ferner Sex gegen Entgelt mit Jugendlichen unter 18 Jahren. Die neue Regelung wird als "Paragraf 207b" an das allgemeine Schutzalter für Mädchen und Burschen - dieses liegt bei 14 Jahren - angehängt. Dafür wird der Homosexuellen-Paragraf 209 gestrichen.
"Reifeprüfung" für 14-jährige?
Das Positive vorweg: Das Verbot sexueller Handlungen gegen Entgelt mit unter 18-jährigen ist ein deutliches Signal gegen die Jugendprostitution. Neu dabei: Das Gesetz nimmt nicht die jugendlichen Prostituierten, sondern die "Kunden" der Minderjährigen in die Verantwortung.
Die übrigen Punkte des Gesetzes erscheinen dem KFVW dagegen zu unkonkret: Wie aus den Erläuterungen zu dem Gesetzestext hervorgeht, muss die "mangelnde Reife" der 14- und 15-jährigen Burschen und Mädchen erst "im konkreten Fall festgestellt" werden. Doch selbst dann ist die sexuelle Handlung eines Erwachsenen noch nicht verboten: Der Täter muss neben der mangelnder Reife des Opfers auch die "eigene altersbedingte Überlegenheit" ausgenützt haben. Erst wenn beides zutrifft, ist der neue "Tatbestand" nach Paragraf 207b gegeben. Dabei muss der Täter vorsätzlich handeln. Ein "Vorsatz" muss auch bei Ausnutzung einer Zwangs-lage deutlich werden. Denn beruhen die Sexualkontakte ? so die Erläuterung zum Gesetzestext - "nicht auf der Zwangslage" der Opfers, sondern auf einer "echten Liebesbeziehung", kann nicht von "Ausnützung" gesprochen werden.
Sonst sind künftig geschlechtliche Handlungen - und zwar für Homo- wie Heterosexuelle - mit Jugendlichen ab 14 Jahren erlaubt. Ist der Altersunterschied nicht größer als drei Jahre, ist sogar der Beischlaf mit 13-jährigen erlaubt. Und ist der Altersunterschied nicht größer als vier Jahre, werden sexuelle Handlungen (außer Beischlaf und gleich zu setzenden Handlungen) auch mit 12-jährigen toleriert.
Der Wiener Katholische Familienverband wollte den Schutz der unter 16-jährigen konkreter formuliert wissen. Demnach sollte der Beischlaf und andere geschlechtliche Handlungen mit unter 16-jährigen dann verboten sein, wenn der Täter selbst um mehr als fünf Jahre älter ist. Begriffe wie "mangelnde Reife" oder "altersbedingte Überlegenheit" sind dem Wiener Familienverband zu unkonkret. Das Schutzalter müsste so formuliert sein, dass für jedermann klar ist, was erlaubt und was verboten ist.
Nach einem Vorschlag des Wiener Katholischen Familienverbandes hätte der neue Paragraf lauten sollen: "Wer mit einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, den Beischlaf oder eine andere geschlechtliche Handlung unternimmt und das Alter dieser Person um mehr als fünf Jahre übersteigt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen." Leider wurde der Vorschlag des KFVW von den verantwortlichen Politikern diesmal nicht aufgegriffen.
Der neue Paragraf im Wortlaut
Der neue Paragraf 207b hat folgenden Wortlaut:
"(1) Wer an einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und aus bestimmten Gründen noch nicht reif genug ist, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieser mangelnden Reife sowie seiner altersbedingten Überlegenheit eine geschlechtliche Handlung vornimmt, von einer solchen Person an sich vornehmen lässt oder eine solche Person dazu verleitet, eine geschlechtliche Hand-lung an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Wer an einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unter Ausnützung einer Zwangslage dieser Person eine geschlechtliche Hand-lung vornimmt, von einer solchen Person an sich vornehmen lässt oder eine solche Person dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
(3) Wer eine Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unmittelbar durch ein Entgelt dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an ihm oder einem Dritten vorzunehmen oder von ihm oder einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen."