Kinderstimmrecht: Österreich-Konvent: Familienverband fordert "Kinderstimmrecht"
Wiener Katholischer Familienverband sieht Forderung „Jedem Bürger eine Stimme“ durch Vorstoß von Kanzler Schüssel unterstützt
Wien, 2.7.03
Ein „Kinderstimmrecht“, bei dem Eltern für ihre noch nicht wahlberechtigten Kinder stimmen können, hat der Wiener Katholische Familienverband (KFVW) angesichts des neu konstituierten Österreich-Konvents zur Erarbeitung einer neuen Verfassung gefordert. Allein was im Bereich der Staatsverschuldung, der Pensionslasten und der Umweltsünden den Kindern und Kindeskindern zugemutet werde, sei die ernsthafte Überlegung wert, ob dem Grundsatz „Jedem Bürger eine Stimme“ nicht endlich zum Durchbruch verholfen werden sollte. Nach Einführung des Frauenwahlrechts zu Beginn des 20. Jahrhunderts seien Kinder die einzige Gruppe in der Bevölkerung, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sei, so der Wiener Katholische Familienverband in seiner neuen Mitglieder-Aussendung.
Das „allgemeine Wahlrecht“ in Österreich sei in Wirklichkeit bloß ein „Erwachsenen- Wahlrecht“ und diskriminiere 20 Prozent der Bevölkerung. Bestätigt sieht sich der KFVW durch einen Vorstoß von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Dieser hatte - wie der Familienverband in seiner Aussendung erinnert - erst vor kurzem bei einem Vortrag im Wiener Stephansdom im Rahmen des internationalen Kongresses zur Stadtmission bedauert, dass Kinder „nicht einmal über ihre Eltern ein Stimmrecht“ hätten. Hier sollte man nachdenken, ob es nicht Ideen gäbe, dies zu ändern, so der Kanzler bei seiner Ansprache im Stephansdom.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel plädiert
im Stephansdom unter dem Lettnerkreuz für ein Kinderstimmrecht
Foto: Franz Josef Rupprecht
Laut Katholischem Familienverband ist der Ausschluss von Kindern von der demokratischen Entscheidungsfindung umso zweifelhafter, als jeder Bürger ab der Geburt als „Rechtsträger“ anerkannt sei. So könnten Kinder problemlos als „Erben“ bedacht werden. Und wenn die Erbschaft aus Aktien besteht, hätten sie in der Aktionärs-Versammlung auch ein Stimmrecht, das vom gesetzlichen Vormund wahrgenommen wird. Es sei nicht einzusehen, warum Kinder nicht auch bei staatlichen Wahlen eine Stimme haben sollten, die von den Eltern als gesetzlichen Vertretern wahrgenommen wird, so Dobersberger.
Prominente Unterstützer
Unterstützung für ein so genanntes „Kinderstimmrecht“, bei dem auch Kinder - vertreten durch ihre Eltern - wählen dürfen, hat es in der jüngeren Vergangenheit aus der ÖVP und der FPÖ gegeben. Auch der Verfassungsexperte und Niederösterreichische Landtagsdirektor Karl Lengheimer hatte sich wiederholt für ein Kinderstimmrecht stark gemacht. Diese wäre eine „Verbesserung des allgemeinen Wahlrechts“. Denn auch Kinder gehörten zum „Volk“, vom dem ja nach den Grundsätzen des Staates das Recht auszugehen hat. Eine solche Änderung müsste jedoch Hand in Hand mit einer Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre gehen, weil 16-Jährige wohl nicht einverstanden wären, wenn die Eltern für sie entscheiden würden.
Für die Änderung des Wahlrechts zu Gunsten der Kinder hat sich auch wiederholt der österreichische Familien-Bischof Klaus Küng stark gemacht. Auch der Demograph und Familienforscher Wolfgang Lutz gilt als Verfechter eines „Kinderstimmrechts“, bei dem die Kinder - vertreten durch die Eltern - berücksichtigt werden. Es gebe dafür einige „triftige Gründe“ wie die eklatante gesellschaftliche Benachteiligung von Alleinerziehenden oder von Familien mit vielen Kindern, deren hohes Armutsrisiko vermutlich „damit zusammenhängt, dass sie kaum politisches Gewicht haben“.
Außerdem werde der Anteil der über 60-Jährigen in Österreich in den nächsten Jahrzehnten stark steigen, was das „politische Gleichgewicht der Generationen“ massiv verändern werde. Laut Lutz könnten Pensionisten bald eine absolute Mehrheit unter den Wahlberechtigten stellen, die allerdings „eine objektiv andere Interessenlage als die jungen Menschen haben“. Eine solche „Verzerrung der Repräsentanz der Generationen“ könne - so Lutz - der Demokratie nicht gut tun.
Kardinal Christoph Schönborn und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel
bei der Stadtmission im Stephansdom
Foto: Franz Josef Rupprecht
Vorreiterrolle der Kirche
Beim „Kinderstimmrecht“ kommt der Katholischen Kirche in Österreich seit Jahren eine Vorreiterrolle zu: Bei Pfarrgemeinderatswahlen dürfen Eltern in Vertretung ihrer Kinder eine Stimme abgegeben. Die Kinderstimme wird auf Vater und Mutter verteilt: Jeder Elternteil kann pro Kind eine halbe Stimme abgegeben. Alleinerziehende haben für jedes Kinder eine ganze Stimme. Kinder, die bereits gefirmt sind, können als „mündige Christen“ selbst ihre Stimme abgeben.