Muss der Staat bei den Sozialausgaben sparen?
Nur durch Leistungskürzungen und Kostensenkungen lasse sich das Sozialsystem sichern, ist immer wieder aus Regierungsmund zu hören. KFVW-Vizevorsitzender Dr. Alfred Racek nimmt dazu Stellung
Wien, 29.8.03
Es ist schon eigenartig: Österreich wird von Jahr zu Jahr reicher, aber sein Sozialsystem soll es nicht mehr leisten können! Das private Geldvermögen jedenfalls stieg trotz stotternder Konjunktur im vergangenen Jahr um satte 4,5 Prozent auf einen Wert von 290 Milliarden Euro. Zieht man davon die Schulden der privaten Haushalte in der Höhe von 90 Mrd. ab, ergibt das ein Netto-Geldvermögen (ohne Immobilien) von stolzen 200 Milliarden Euro.
Wie es trotz des anschwellenden, allerdings sehr ungleich verteilten privaten Reichtums zur öffentlichen Armut kommen konnte, erklärt sich aus der Vermögen und Kapital schonenden Besteuerung.
Besonders drastisch ist die seit 1993 gewährte Begünstigung von „Privatstiftungen“. Dadurch zahlen in Österreich ausgerechnet die Reichsten ganz geringe Steuersätze oder gar keine Steuer. Das funktioniert ganz legal so: Ab einer halben Million Euro Startkapital veranlage man sein Geld in Form einer Privatstiftung, um dann für lukrierte Zinsen generell nur die halbe KESt zu bezahlen, also 12,5%, während nicht entnommene Zinsen gänzlich steuerfrei gestellt sind. So wächst das Kapital, ohne irgendeinen sozialen Beitrag zu leisten.
Würde eine höhere Besteuerung der Wohlhabenden in Summe nicht viel bringen?
Es gibt nur wenige in Österreich. Wie viele sind es tatsächlich? Rechnet man nur private Finanzvermögen (ohne Immobilienwerte) ab einer Million Euro dazu, so gab es 2002 in Österreich 60.000 Euro-Millionäre!
Würde das Kapital bei höherer Besteuerung abwandern?
Dieses beliebte Totschlägerargument einer ernsthaften Debatte ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die EU hat sich nämlich heuer, um Steuerflüchtlingen beizukommen, auf eine grenzüberschreitende Zinsbesteuerung geeinigt und dabei Nicht-EU-Länder wie die Schweiz und Lichtenstein und noch kleinere Steueroasen eingebunden. Hätten die Vermögens- und Gewinnsteuern in Österreich nur EU-Durchschnittsniveau, so ergäbe das jährlich fünf Milliarden Euro Mehreinnahmen für die öffentliche Hand. Das ist das Fünffache der angeblich unvermeidlichen Einsparungen durch Pensionskürzungen!
Hat Österreich das beste Sozialsystem der Welt?
Schön wär’s! In unserem Land existieren nicht einmal Mindeststandards für das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe. Monatlich weniger als 470 Euro Notstandshilfe heißt es für ein Drittel der Bezieher samt ihren Familien! Mit der Zahl der zu versorgenden Kinder nimmt die Armut natürlich noch zu. Zuletzt bleibt die Sozialhilfe, deren Leistungen aber (mit Ausnahme der Bundesländer Wien und Salzburg) von den Angehörigen zurückgefordert werden. Und ohne Staatsbürgerschaft sind nicht einmal die Sozialhilfe oder eine andere Form der Existenzsicherung gewährleistet ...
Privilegierung des Reichtums, Sozialabbau und Armutsverschärfung hängen zusammen. „Die Familien werden die ersten Opfer jener Übel sein, die sie vorher gleichgültig betrachtet haben“, prophezeite der Papst 1981 in seinem Familien-Schreiben. Die Entwicklung gibt ihm Recht.