Armutsrisken und Armutsfallen – Daten und Fakten
Wien, 10. 05. 2006 [Presseaussendung]
Der Gott sei Dank gut ausgebaute Sozialstaat Österreich hat, gerade was einkommensschwache Familien betrifft, große Lücken und ist keinesfalls armutsfest.
Mehr als eine Million Menschen – davon nahezu ein Drittel Kinder und Jugendliche! – lebt im achtreichsten Land der Erde an oder unter der Armutsgrenze. In Zahlen ausgedrückt heißt das: 1.044.000 sind armutsgefährdet, darunter 278.000 Unterzwanzigjährige. 460.000 Österreicherinnen und Österreicher sind akut arm (rund ein Drittel davon in Wien), ihnen fehlt häufig das Geld für das Nötigste. In solcher Armut leben über 113.000 Kinder und Jugendliche. Mit jedem Kind wird die Armutsgefährdung der Familie größer: Davon sind sieben Prozent der Ein-Kind-Familien, 14 Prozent der Zwei-Kind- und 20 Prozent der Familien mit drei oder mehr Kindern betroffen. Besonders armutsgefährdet sind AlleinerzieherInnen, kinderreiche Familien und arbeitslose Personen:
Geht man vom Ausgleichszulagenrichtsatz als Armutsgrenze aus, so ergibt sich Folgendes: Dieser liegt 2006 bei 774,81 € (14/12). Das Existenzminum eines Kindes, im Durchschnitt mit der Hälfte dieses Betrages angesetzt, beträgt demnach 387,41 €. Abzüglich Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag (für das erste Kind 156,30 €) verbleibt ein ungedeckter Differenzbetrag von 231,11 €. Der im zweiten und dritten Lebensjahr des Kindes gewährte Wiener Familienzuschuss beträgt seit 1992 unverändert maximal 152,61 €. Die seitdem eingetretene Inflation (1993 – 2005) beläuft sich auf 27,9 Prozent. Um zumindest diese reale Wertminderung zu kompensieren, ist er auf 195,19 € anzuheben, womit der Fehlbetrag auf das Kindesexistenzminum auf 35,92 € reduziert wäre.
Problemfelder: 1. Armutsgefährdung infolge Arbeitslosigkeit Die Systemlücke beim Arbeitslosengeld sind fehlende Mindestsätze, weshalb Arbeitslose mit ihren Familien so oft in die Armut absacken. Das Arbeitslosengeld beträgt in der Regel 55 Prozent des letzten Nettojahreseinkommens. Wenn dieses nicht doppelt so hoch wie die Armutsgrenze war, schnappt schon eine Armutsfalle zu. Aus Familiensicht absolut inakzeptabel sind die keineswegs existenzsichernden „Kinderzuschläge“ beim Arbeitslosengeld, die seit 2001 nicht nur nicht valorisiert, sondern im Zuge einer Umstellung sogar gesenkt worden sind: Auch 2006 betragen diese unverändert 97 Eurocent täglich pro Kind! (für den Ehegatten ebenfalls 97 Eurocent täglich, sofern Familienzuschlag für ein weiteres Kind gewährt wird). 2. Armutsgefährdung trotz Erwerbsarbeit Neben „Workless Poor“ gibt es auch „Working Poor“: Deren Zahl wächst mit der Zunahme atypischer Beschäftigungen; darunter fallen Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte, Personen mit temporären Arbeitskontakten und Scheinselbstständige (Werkverträge, freie Dienstverträge), aber auch ein kleiner Teil der Vollzeitbeschäftigten. Sie alle geraten in die Systemlücke einer fehlenden (Familien-)Existenzsicherung. 3. Armutsgefährdung infolge Familienarbeit ohne gleichzeitigen Erwerb Kinderbetreuungsgeld (plus bei geringem oder keinem Einkommen rückzahlungspflichtiger Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 181,68 bzw. monatlich 6,06 täglich) plus Familienbeihilfe und Absetzbetrag liegen unter der Armutsgrenze. Der Gesamtbetrag z. B. bei einem Kind unter 3 Jahren monatlich: 436 + 181,68 + 156,3 = 773,98 ist für den betreuenden Elternteil und das Kind nicht existenzsichernd. (Zum Vergleich: Existenzminimum gemäß gewichtetem Ausgleichzulagenrichtsatz für einen Erwachsenen und ein Kleinkind: 1084,73 Euro.) 4. Armutsgefährdung trotz Sozialhilfe Ihre primäre und eigentliche Aufgabe ist die Armutsvermeidung. Dieses unterste soziale Netz ist nicht nur von Bundesland zu Bundesland verschieden. Die staatliche Fürsorge erstreckt sich weder auf alle, die sie mit Fug und Recht brauchen würden, noch sichert sie die Anspruchsberechtigten tatsächlich vor Verarmung. In mehrfacher Hinsicht provoziert sie diese sogar selbst: Die erforderliche Mittellosigkeit wird so exzessiv ausgelegt, dass der Antragsteller beipielsweise weder ein Sparbuch (auch nicht mit noch so geringer Einlage!) noch eine Eigentumswohnung oder ein Auto besitzen darf, selbst wenn dieses zu seinem Beruf gehören sollte. Es ist, um überhaupt Sozialhilfe beziehen zu können, vorher zu veräußern! 5. Armutsgefährdung für Nicht-EU-Bürger Derzeit haben „aufenthaltsverfestigte Nicht-EU-Bürger“ keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Der KFVW forderte daher wiederholt die Zuerkennung eines Rechtsanspruchs auf Sozialhilfe auch ohne österreichische Staatsbürgerschaft für jene Zuwanderinnen und Zuwanderer und ihre Familien, die rechtmäßig seit einer Mindestdauer von drei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben. Eine EU-Richtlinie, die bereits seit November 2003 in Kraft ist, schreibt vor, dass Ausländer, die nicht aus einem EU-Staat kommen und mindestens fünf Jahre legal in Österreich leben, die gleichen Rechte wie Inländer bzw. EU-Staatsangehörige haben. Das verlangt nach einer Änderung des Wiener Sozialhilfegesetzes. |