Familienpolitik der 90er Jahre
Zum einen ist diese Dekade familienpolitisch von einer deutlichen Leistungskürzung gekennzeichnet. 1995 und 1996 werden die so genannten „Sparpakete“ geschnürt, die für Familien empfindliche finanzielle Einbußen bedeuten. Geburtenbeihilfe, Heimfahrtbeihilfe und Freifahrt für Studierende werden abgeschafft; die Familienbeihilfe wird um 100 Schilling pro Kind/Monat gekürzt; für Schulbücher und Schülerfreifahrten wird ein 10%-iger Selbstbehalt eingeführt; Studierende müssen, damit sie die Familienbeihilfe nicht verlieren, einen Studienerfolg nachweisen; das erhöhte Karenzgeld wird gekürzt und der Karenzgeldbezug von zwei auf eineinhalb Jahre reduziert.
Zum anderen rückt das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer mehr in den Vordergrund und wird zu Recht als das zentrale familienpolitische Thema der Zukunft erkannt. Familienförderung bedeutet demnach auch Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Eltern ermöglichen, Familienphase und Erwerbstätigkeit parallel laufen zu lassen bzw. nach der Familienphase den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erleichtern. Neben dem Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen – es wird die „Kindergartenmilliarde“ beschlossen – passieren sehr viele bewusstseinsbildende Maßnahmen. Mittels Broschüren und Infokampagnen wird zu vermitteln versucht, dass die bei der während der Familienphase erworbenen Kompetenzen für die Arbeitswelt und damit für den Wiedereinstieg von Relevanz sind. Einerseits geht es darum, die Arbeitgeber auf diese in der Familie erworbenen Kompetenzen aufmerksam zu machen; andererseits müssen den Wiedereinsteigerinnen diese Kompetenzen bewusst gemacht werden.
Es wird das „Audit Familie und Beruf“ eingeführt. Hier geht es darum, Unternehmen für familienfreundliche Maßnahmen zu sensibilisieren und sie in der Folge umzusetzen. Dafür gibt es dann sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene Zertifikate und Auszeichnungen. Als weitere bewusstseinsbildende Maßnahme kommt hinzu, dass die UNO 1994 zum Internationalen Jahr der Familie erklärt.
Familienpolitik wird zunehmend als Prozess begriffen. Es entsteht ein Bewusstsein dafür, dass Familienpolitik mehr ist als finanzielle Unterstützung, die weit weg in Wien passiert und für die der Bund zuständig ist. Familienpolitik wird mehr und mehr auch als Aufgabe der Länder, der Bezirke und der Gemeinden gesehen. Der Begriff: örtliche und regionale Familienpolitik wird geprägt. Es sind genau diese politischen Einheiten – Land, Bezirk, Gemeinde –, die die Öffnungszeiten der Kindergärten regeln, Kinderspielplätze bauen, ein familienfreundliches Wohnumfeld schaffen oder Seniorencafes einrichten. Je mehr Familienpolitik auch als örtliche und regionale Zuständigkeit begriffen wird, desto mehr wird sie von einer Momentaufnahme zu einem Prozess. Ein vorausschauender Gemeinde-, Bezirks- oder Landespolitiker hat daher stets die verschiedenen Lebensphasen der Familie und deren jeweiligen Bedürfnisse vor Augen.